Zur Generalisierbarkeit der Rekonstruktionen subjektiver Orientierungen (1)

Günter L. Huber, Universität Tübingen


Die themenbestimmenden Konzepte im Titel dieses Workshops - Alltag, Alltagsbewußtsein, Handlungsorientierung - signalisieren für den Außenstehenden eine Konzentration der sportwissenschaftlichen pädagogischen Forschung auf die subjektive Weltsicht der am Sportunterricht Beteiligten. Zu den Inhalten dieser subjektiven Orientierungen kann ich mich nicht äußern, da ich im Bereich von Sport und Sportunterricht nie eigene Forschung durchgeführt habe. Die methodologischen und methodischen Probleme subjektzentrierter Forschung sind aber über alle Besonderheiten sozialwissenschaftlicher Inhaltsbereiche hinweg die gleichen. Auf eines dieser Probleme möchte ich hier näher eingehen, da es für pädagogische Forschung besondere Bedeutsamkeit hat: Wie steht es mit der Generalisierbarkeit der Befunde subjektzentrierter Forschung? Wie weit können wir allgemeine Orientierung für pädgogisches Handeln aus den Ergebnissen der Forschung über subjektive Handlungsorientierung von Schülern/innen ableiten?

Wenn ein 17-jähriger Schüler in einem offenen Interview über den Schulsport äußert, dies sei ein Fach wie jedes andere, d.h. eine "Routine-Pflichtveranstaltung" (Volkamer, 1996, S. 13), wie geht man dann mit dieser Aussage um? Dazu wäre sehr viel auszuführen, aber für die weiteren Überlegungen setzen wir einfach einmal voraus, daß der methodische Zugang zum subjektiven Erleben dieses Schülers geeignet war (vgl. Huber & Mandl, 1994) und die so erschlossene subjektive Perspektive auch Gültigkeit beanspruchen kann (vgl. Lechler, 1994; Wahl, 1994).

Wenn wir diese Aussage verallgemeinern, dann heißt das, wir schließen von einem Einzelfall auf alle - ja worauf denn? Auf alle 17-jährigen Schüler, vielleicht auch Schülerinnen? Oder auf alle Schüler und Schülerinnen, unabhängig vom Alter - oder vielleicht nur im Gymnasium? Dürfen wir auf andere Gemeinden, Bundesländer, Staaten verallgemeinern? Nun haben wir im ausgewählten Beispiel nicht nur Daten von einem Schüler, sondern von 30 Schülerinnen und Schülern, also von 30 "Fällen". Das Problem bei qualitativ-interpretativen Studien ist aber, daß man bei den wenigen Fällen, die wegen des methodischen Aufwands analysiert werden können, nicht genau weiß, wie weit sie auch für andere Fälle repräsentativ sind. Zumindest wird dies in vielen Studien nicht genau herausgearbeitet, so daß man kritisch einwenden kann, jeder Fall sei nur für sich selbst typisch (Stake, 1988). Natürlich kann auch der ungewöhnliche, extreme Einzelfall sehr informativ sein, weil er gleichsam die Folie liefert, auf der dann die normalen, durchschnittlichen Fälle besser zu verstehen sind - aber dazu müßten wir erst einmal wissen, was die Norm und was die Abweichung davon ist.

Generalisierung durch Induktion?

Man könnte nun einwenden, daß das Generalisierungsproblem bei subjektzentrierter, qualitativer Forschung nur quantitativ schwieriger, qualitativ aber gleichartig mit den Problemen der Verallgemeinerung von Befunden quantitativer Untersuchungen sei. Oder einfacher: Wir können 30 offene Interviews führen und analysieren, mit finanziellem und personellem Aufwand vielleicht auch 60 - aber wir können keine Zufallsstichprobe von 300 oder 600 für die Bezugsgruppe repräsentativer Probanden ziehen wie bei einer Studie mit einem hochstrukturierten Fragebogen. Natürlich könnte man auch versuchen, die relativ wenigen Interviewpartner/innen nach Zufall auszuwählen. In beiden Fällen stünde man dann, so könnte man annehmen, vor dem sogenannten Induktionsproblem: Das Induktionsproblem besteht darin, ein Verfahren zu finden, mit dessen Hilfe die induktive Wahrscheinlichkeit einer Hypothese aufgrund des vorliegenden Beobachtungsmaterials bestimmt werden kann. Natürlich wissen wir, daß bei diesem Verfahren nie eine zweifelsfreie Generalisierung möglich ist, wohl aber eine Generalisierung, deren Irrtumswahrscheinlichkeit wir einschätzen und bei praktischen Folgerungen berücksichtigen können. Müssen wir also bei interpretativen Methoden einfach mit etwas mehr Irrtumswahrscheinlichkeit leben bzw. unverhältnismäßig mehr Aufwand als bei sogenannten objektiven Methoden betreiben, um diese Wahrscheinlichkeit zu reduzieren?

Diese Position wird zwar immer wieder vertreten, trotzdem ist sie ebenso irrig wie wenig hilfreich. In unseren Forschungsansätzen geht es gar nicht um Überprüfung, Bestätigung, Falsifikation theoretischer Aussagen auf der Grundlage empirischer Aussagen, es geht gar nicht darum herauszufinden, ob theoretische Sätze in zutreffenden Prognosen beobachtbarer Ereignisse vorkommen. Ganz im Gegenteil: Mit der Fokussierung auf die subjektive Perspektive anderer Menschen wollen wir aus deren Aussagen oder Handlungen (den "beobachtbaren Ereignissen") die (subjektiven) Hypothesen oder (subjektiv-)impliziten Theorien durch Interpretation rekonstruieren, an denen diese anderen sich bei ihren Handlungen orientieren. Wir wollen also keine Hypothesen oder Theorien bestätigen oder widerlegen, sondern wir wollen zunächst einmal Hypothesen oder Theorien generieren. Im allgemeinen wollen wir aber nicht nur die subjektive Theorie einer einzelnen Person oder eine bunte Aneinanderreihung subjektiver Theorien mehrerer Personen erstellen.

Gerade im pädagogischen Feld möchten wir dann natürlich gerne wissen, wie speziell bzw. wie verallgemeinerungsfähig diese Rekonstruktionen sind und ob wir darauf unsere eigenen Handlungskonstruktionen für andere Fälle gründen können. Leider bleibt die Verantwortung für entsprechende Entscheidungen größtenteils den Lesern/innen von Fallanalysen überlassen - und die können aus ihrer subjektiven Perpektive die Generalisierbarkeit ebenso unter- wie überschätzen (Stake, 1988).

Generalisierung durch Transduktion?


Die Leser/innen, besonders wenn es Lehrer/innen mit spezifischen Unterrichtsfragen sind, beschäftigen sich in der Regel mit erziehungswissenschaftlicher Literatur, weil sie an der Beantwortung ihrer Fragen interessiert sind. Verallgemeinerungen aus den beschriebenen und interpretierten Fällen erscheinen ihnen als einfache Regeln trivial; sie erscheinen vielleicht als sprachlich nicht einmal besonders gut, recht kompliziert formulierte Verallgemeinerungen von Zusammenhängen, die man vorher auch schon zu wissen glaubte. Versucht man aber, komplexe Handlungsanweisungen vorzuschlagen, werden diese häufig als nicht praktikabel beurteilt, entweder weil zu viele vorlaufende Bedingungen zu berücksichtigen sind, oder weil zu viele zusätzliche Anweisungen zu befolgen sind, um erst einmal die pädagogische Situation herzustellen, für die eine Handlungsempfehlung Gültigkeit beansprucht und in der sie sich als wirksam erwiesen hat (Doyle & Ponder, 1977; Herrmann, 1979).

Da ist es sehr viel motivierender, sich unmittelbar an der genauen Beschreibung eines Falls zu orientieren. Eine gute Falldarstellung konfrontiert mit eigenen praktischen Problemen oder scheint von vergleichbaren Problemen auszugehen. Entsprechend gro sind die Erwartungen an die Lösungshinweise, die an den Beispielfällen entwickelt werden.

In dieser Praxis- und Erlebnisnähe liegt aber die Gefahr: Die Darstellungen werden wenig reflektierend, sondern vom Interesse am Rezept ausgehend analysiert; die Leser/innen analysieren nicht die genauen Bedingungen der Situation, sondern fühlen sich ermutigt, Befunde und Empfehlungen von einem oder einigen dargestellten Fällen ohne Versuch der Generalisierung direkt auf ihren eigenen "Fall" zu übertragen. Eine weitere Gefahr liegt darin, daß sie bei dieser Übertragung vom einen auf den anderen Fall statt kritische Randbedingungen zu analysieren einfach Stereotype bilden (z.B. Stereotyp der schichtspezifischen Häufung von Verhaltensstörungen). Die Fallorientierung wird einerseits als hilfreich und sinnvoll erlebt, kann aber andererseits zu Fehlanpassungen führen, weil die Bedeutsamkeit der Empfehlungen nicht hinreichend analysiert werden kann. Es besteht dabei die Gefahr, da Lehrer/innen illusionäre Wirksamkeitsüberzeugungen bezüglich der beschriebenen Maßnahmen aufbauen, dann aber, wenn sie in der eigenen Klasse damit scheitern, die Ursachen ihres Mierfolgs bei sich selbst suchen.

Methodologische Empfehlungen zur Generalisierung qualitativer Studien

Wenn induktive Verallgemeinerungsversuche die Fragestellung interpretativ-qualitativer Forschung verfehlen, transduktive Übertragungsversuche die Bedingungen, unter denen Antworten gefunden wurden -- was kann man dann noch tun, um die Generalisierbarkeit zu fördern? Ansätze dazu sollten wir nicht von der Methodologie der quantitativen Absicherung von Hypothesen auszuleihen versuchen, sondern aus der Logik interpretativer Ansätze entwickeln. Vier wichtige Empfehlungen erscheinen dafür beachtenswert.

(1) Dichte Beschreibung als Strategie der Darstellung

Wenn schon die generalisierende Übertragung der Befunde interpretativer Forschung auf besondere pädagogische Situationen wesentlich von den Rezipienten der Forschungsergebnisse geleistet werden muß, dann sollte wenigstens die Darstellung der Untersuchung und ihrer Befunde die Übertragbarkeit unterstützen. Der/die Leser/in sollte in die Lage versetzt werden, "an den eingefangenen Erfahrungen stellvertretend teilzuhaben" (Denzin, 1989, S. 83), damit er/sie die eigenen Erfahrungen ganz natürlich auf die berichteten Erfahrungen verallgemeinern kann (Stake, 1978).

Die geeignete Strategie dazu stellt nach Denzin (1989) die "dichte Beschreibung" dar. Im Unterschied zu einem glatten, distanzierten, neutralen Bericht soll die dichte Beschreibung Erfahrungen in ihrem originalen Kontext vermitteln:

Sie präsentiert Detail, Kontext, Emotion und die Netze sozialer Beziehungen, die Menschen miteinander verbinden. Dichte Beschreibung löst Emotionalität und Selbst-Gefühle aus. Sie bringt Geschichte in die Erfahrung. Sie begründet die Bedeutsamkeit einer Erfahrung oder einer Sequenz von Ereignissen für die Person oder Personen im Mittelpunkt. In dichten Beschreibungen hört man die Stimmen, Gefühle, Aktionen und Bedeutungen der interagierenden Individuen (Denzin, 1989, S. 83).

Bei den Lesern/innen soll der Eindruck der Wahrhaftigkeit entstehen, sie sollen beim Lesen den Eindruck gewinnen, sie selbst seien bei den beschriebenen Ereignissen anwesend. Denzin (1989) gibt zahlreiche Beispiele gelungener dichter Beschreibungen, denen er weniger gelungene, "dünne" Beschreibungen gegenüberstellt. In einer tabellarischen Darstellung gibt er eine Übersicht über Typen dichter Beschreibung und die Formen in denen sie auftreten können. Dabei warnt er auch vor Formen, die den Zweck, Teilhabe am Geschehen zu bewirken, eher verhindern als fördern. Dazu rechnet Denzin (1989) die Form der "aufdringlichen" Beschreibung, die Abstraktionen und theoretische Reflektionen des/der Forscher/in unter die Beschreibungen mischt und so eine externe, abgehobene Stimme, quasi aus dem "Off" aufdrängt anstatt die Stimmen der Akteure hörbar zu machen. Weiter sollten unvollständige Beschreibungen, in denen Elemente dichter Beschreibung und glatter Berichte bzw. theoretischer Interpretation gemischt sind, sowie geglättete Berichte vermieden werden.

Gerade wenn wir darauf abzielen, Alltagsbewußtsein und Alltagshandeln zu erfassen und für andere zugänglich zu machen, erscheint die dichte Beschreibung als besonders geeignetes Stilmittel der Darstellung. Allerdings muß sie durch adäquate Interpretation bzw. Anregung zu selbständiger Analyse ergänzt werden, wenn dadurch nicht wieder die Gefahr vorschneller Transduktion (s.o.) verstärkt werden soll.

(2) Fallorientierte Forschungsstrategie

Nach Yin (1989) kommt es bei Fallstudien -- wenn sie den Status einer besonderen Forschungsstrategie beanspruchen wollen -- darauf an,

Es kann durchaus interessant und legitim sein, sich auf nur einen einzigen Fall zu konzentrieren, wenn darin ein kritisches Phänomen zugänglich ist. Im Beispiel des 17-jährigen Schülers bei Volkamer (1996) besteht dieses Phänomen in konträren Orientierungen der gleichen Person im Kontext von Schulsport und Vereinssport. Aus der Analyse dieses kritischen Falles können wir einerseits die subjektive Sporttheorie der befragten Person rekonstruieren, andererseits zumindest verallgemeinerbare Hypothesen über die Wirkung spezifischer Kontextbedingungen gewinnen, die uns die Richtung für weitere Untersuchungen weisen. Yin (1989) hebt weiter auf die Bedeutung des Extremfalls oder des einzigartigen Falls sowie des aufklärenden Falls ab. Weniger die Dokumentation von Extremfällen stehen in der erziehungswissenschaftlichen Forschung im Vordergrund, sondern vielmehr ihre Kontrastfunktion: Sie lassen die im "glatten" Funktionieren der verbreiteten Normalfälle nur schwer zu analysierenden Zusammenhänge wichtiger Bedingungen deutlicher hervortreten. Aufklärende Fälle schließlich sind jene, zu denen bisher Forschung keinen Zugang gefunden hat, auch wenn sie vielleicht gar nicht so selten sind. Die detaillierte Analyse einer "Wehrsport"-Gruppe aus der Perspektive der Mitglieder wäre ein Fall dieser Art.

(3) Strategie der Replikation

Der Grundansatz interpretativer Generierung von Alltagstheorien aus den Erfahrungen und Berichten der alltäglich Handelnden ist sehr einfach: Man vergleicht ständig jeden Hinweis in jedem Bericht mit jedem anderen verfügbaren. Dabei stellt man sich immer wieder zwei generelle Fragen (Glaser, 1992): Worum geht es für die Leute eigentlich und auf welche Kategorie verweist ein bestimmtes Ereignis? Vergleichen zwischen subjektiven Berichten aber setzt voraus, daß man erstens über mehrere solcher Berichte verfügt und daß diese zweitens überhaupt vergleichbar sind.

Damit kommen wir wieder auf die Strategie der Fallanalyse zurück, diesmal aber auf den Ansatz multipler oder komparativer Fallstudien. Wir haben schon festgestellt, daß pragmatische wie theoretische Gründe die Verbesserung der Generalisierbarkeit von Forschungsbefunden durch Ziehen einer "repräsentativen" Stichprobe ausschließen. Welcher Logik können wir dann folgen, wenn wir zum Zwecke "ständigen Vergleichens" die Zahl verfügbarer Fälle erhöhen wollen? Yin (1989) verweist uns auf die Analogie zum experimentellen Paradigma empirischer Forschung und seiner Replikationslogik, wobei er allerdings in seiner Darstellung das Ziel interpretativer Forschung, aus den Daten Hypothesen zu generieren oder (subjektive) Theorien zu rekonstruieren, aus den Augen verliert. Trotzdem erscheint der Hinweis grundsätzlich bedenkenswert.

Yin (1989) empfiehlt, die begrenzte Zahl analysierbarer Einzelfälle sorgfältig auszuwählen und dabei zwei Strategien zu kombinieren:

Diese beiden Strategien schließen sich also nicht aus, sondern ergänzen sich wechselseitig. Allerdings können wir im Unterschied zur Planung von Experimenten die Auswahl geeigneter Fälle nicht im Sinne eines vorgegebenen Untersuchungs-"Plans" von vorneherein festlegen. Wir kennen ja bei Beginn unserer Suche nach Alltagstheorien genau diese Theorien noch nicht. Wir legen keine theoretisch begründete Auswahl von Fällen vorab fest, um genau die Begründungstheorie zu bestätigen oder zu widerlegen, sondern wir versuchen aus den Aussagen unserer Interviewpartner/innen rekonstruktiv deren Alltagstheorien zu generieren. Die Auswahl der Replikationsfälle müssen wir also abhängig vom Stand unserer Interpretations-/Rekonstruktionsleistungen im wörtlichen Sinn "von Fall zu Fall" festlegen.

(4) Strategie der Typenbildung

Sind wir mit der Analyse unserer Fälle so weit, daß wir bestimmte subjektive Wahrnehmungs- oder Handlungsmuster und korrespondierende subjektive Deutungs- oder Erklärungsmuster erkennen, können wir das ständige Vergleichen der Fälle auf einem abstrakteren, generelleren Niveau wiederholen. Wir greifen dazu kritische Muster sowie Person- und/oder Kontextbedingungen heraus und versuchen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen unseren Fällen zu entdecken. Das Ergebnis kann eine generelle Typologie von Fällen sein.

Diese verallgemeinernde Art des "ständigen Vergleichens" fordert eine spezifische Vergleichsperspektive, eine Herangehensweise, bei der die erkannten Teile nicht den Blick auf das Ganze behindern, sondern bei der man Fälle, "Ganze als Konfigurationen von Teilen vergleicht" (Ragin, 1987, S.84). Die Methode, die Ragin dafür empfiehlt, ist die Boolesche Methode des qualitativen Vergleichens - benannt nach dem Mathematiker George Boole, der die zentralen Techniken dafür erfunden hat.

Wir sprachen davon, daß man mit diesem Vergleichsprozeß auf eine höhrer Ebene der Verallgemeinerung vorstößt; er kann daher nicht ohne irgend eine Form der Reduk-
tion der vorliegenden Befunde durchgeführt werden. Die Teile, auf die sich Ragin bezieht, können als Elemente der Interviews verstanden werden, die Forscher/innen als "Bedingungen" ansehen, d.h. in denen sie eine Voraussetzung für ein "Ergebnis" vermuten, an dem sie interessiert sind. Auftreten oder Fehlen eines Elements bei einem gegebenen Fall wird auf die dichotomen (Wahrheits-)Werte "1" (vorhanden) und "0" ( nicht vorhanden) reduziert.


Unter den Kategorien, auf die 106 Interviews zur beruflichen Sozialisation von Anfängern im Lehramt interpretativ reduziert worden waren, wählte Marcelo (1991) sechs aufgrund seiner Interpretation als besonders signifikant für seine Fragestellung (berufliche Probleme; Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung) aus:

Da in den Interviews sehr häufig (178-mal!) Disziplinprobleme angesprochen worden waren, interessierte Marcelo sich besonders für die Bedingungskonfigurationen des Merkmals "D". Die logische Minimierung ergab drei Gruppen von Bedingungskonfigurationen, die mit D als Kriterium einhergehen.

D: ABC + ACEF + abcef

Die Interpretation dieser Zusammenfassungen ist aufschlußreich für das Verständnis der Probleme der Lehrer; als Typologie der beruflichen Befindlichkeit junger Lehrer müßte sie auch in Aus- und Fortbildung der Lehrer berücksichtigt werden.


Angenommen wir vermuten, daß es drei "Bedingungen" (A, B und C) gibt, die das "Ergebnis" X bewirken. Sind alle drei für das Ergebnis verantwortlich? Kann es auch zu dem Ergebnis kommen, wenn keine von diesen Bedingungen gegenwärtig ist? Vielleicht ist es die Kombination von AB, BC oder AC, die zum Ergebnis X führt? Tut sie das in allen Fällen? Ist es beispielsweise notwendig, daß B fehlt, damit X auftritt? Um solche Fragen zu beantworten, würden wir Tabellen konstruieren, in welche wir alle theoretisch möglichen Bedingungskombinationen (als 0 oder 1) eintragen, jeweils eine Kombination pro Zeile (Boole nennt dies eine "Wahrheitstabelle"). Dann würden wir unsere Daten überprüfen und als erstes notieren, welche Kombination (in der wir Vorhandensein und Nichtvorhandensein berücksichtigen) in jedem einzelnen Fall vorliegt und gleichzeitig überprüfen, ob das Ergebnis X ebenfalls auftritt. Allmählich stellen wir so die unterschiedlichsten Kombinationen fest und notieren zusätzlich die Häufigkeit ihres Auftretens. Einige Bedingungskombinationen treten im "wirklichen Leben", wie es in unseren Daten repräsentiert ist, überaupt nicht auf. Wir würden dann dafür ein "?" in die Spalte eintragen, die für das Auftreten von X vorgesehen ist. Der nächste Schritt wäre, in den Tabellen zu überprüfen, welche verschiedenen Bedingungskombinationen mit dem Ergebnis X verbunden sind. Dies geschieht mit Hilfe einer algebraischen Methode, der "logischen Minimierung" nach Boole, die eigentlich ganz einfach ist, aber ziemliche Konzentration verlangt. Als Ergebnis dieses Prozesses erhalten wir eine (oder verschiedene) Bedingungskonstellation(en), die fest mit dem Ergebnis X verbunden ist (sind). Diese können wir dann auch als Ursache dafür ansehen.

Ein Beispiel konkreter Forschung soll dieses Verfahren und seine Bedeutsamkeit illustrieren. In einer Interviewstudie zur beruflichen Sozialisation von Anfängern im Lehramt hat Marcelo (1991) die Möglichkeiten der logischen Minimierung zur Identifikation bestimmter Gruppen von Lehrern benutzt. Im Hinblick auf ein bestimmtes Kriterium (Disziplinschwierigkeiten im Unterricht) liefert die logische Minimierung Hinweise auf drei Typen von Berufsanfängern, die unterschiedliche Schwerpunkte der Fort- und Weiterbildung notwendig erscheinen lassen (s. Kasten).

Abschließend und teilweise in eigener Sache sei darauf hingewiesen, daß diese Art ständigen Vergleichens zwischen Fällen ohne Computerunterstützung und geeignete Software kaum zu realisieren ist. Für die Generalisierung durch Typenbildung stehen meines Wissens im Augenblick zwei Programme zur Verfügung. QCA (Qualitative Comparative Analysis) von Drass & Ragin (1991) ist darauf spezialisiert, Fälle als Konfiguration von Bedingungen darzustellen und kritische Bedingungskonfigurationen mit Hilfe logischer Minimierung zu ermitteln. Das Program AQUAD Five (Analyse qualitativer Daten; Version 5.14) von Huber (1997) ist generell zur Unterstützung interpretetiv-qualitativer Analysen angelegt und bietet in einer seiner Komponenten zusätzlich die Möglichkeit, Fälle auf die oben beschriebenen Wahrheitswerte zu reduzieren und mit logischer Minimierung nach typischen Bedingungskonstellationen zu suchen.

Literatur

Denzin, N. K. (1989). Interpretative interactionism . Applied Social Research Methods Series, Vol. 16. Newbury Park: Sage.

Doyle, W. & Ponder, G. A. (1977-78). The practicality ethic in teacher decision-making. Interchange, 8 , 1-12.

Drass, , K., & Ragin, C. C. (1991). QCA: Qualitative comparative analysis . Evanston: Center for Urban Affairs and Policy Research, Northwestern University.

Glaser, B. G. (1992). Basics of grounded theory analysis . Mill Valley: Sociology Press.

Herrmann,Th. (1979). Psychologie als Problem . Stuttgart: Klett- Cotta.

Huber, G. L. (1997). AQUAD Five. Software for the analysis of qualitative data . Schwangau: Verlag Ingeborg Huber.

Huber, G. L., & Mandl, H. (1994). Verbalisationsmethoden zur Erfassung von Kognitionen im Handlungszusammenhang. In G. L. Huber & H. Mandl (Hrsg.), Verbale Daten (2. Aufl.)(S. 11-42). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Lechler, P. (1994). Kommunikativie Validierung. In G. L. Huber & H. Mandl (Hrsg.), Verbale Daten (2. Aufl.)(S. 243-258). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Marcelo García, C. (1991). El primer año de enseñanza Sevilla: Grupo de Investigación Didáctica de la Universidad de Sevilla.

Ragin, C. C. (1987). The comparative method. Moving beyond qualitative and quantitative strategies . Berkeley: University of California Press.

Stake, R. E. (1978). The case-study method of social inquiry. Educational Researcher, 7 , 5-8.

Stake, R. E. (1988). Case study methods in educational research: Seeking sweet water. In R. M. Jaeger (ed.), Complementary methods for research in education (pp. 253-265). Washington, D.C.: American Psychological Association.

Volkamer, M. (1996). Schulsport, Vereinssport - zwei völlig unterschiedliche Dinge? sportunterricht, 45 (H. 1), 9-19.

Wahl, D. (1994). Handlungsvalidierung. In G. L. Huber & H. Mandl (Hrsg.), Verbale Daten (2. Aufl.)(S. 259-274). Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Yin, R. K. (1989). Case study research. Design and methods . Applied Social Research Methods Series, Vol. 5 (revised ed.). Newbury Park: Sage.


1) Vortrag auf dem Konstanzer Workshop (29.-30. 05. 1997) "Alltag, Alltagsbewußtsein und Handlungsorientierungen von Schülerinnen und Schülern im Sportunterricht" am 29.05.97